INNEN UND AUSSEN
Was haben Fluss, Baum und Gstettn gemeinsam? Sie können Spiegelbilder unserer Seele sein…
DER FLUSS
Vor vielen Jahren stand ich auf der Wienfluss Brücke bei Hütteldorf im Stau. Es muss wohl Herbst gewesen sein. Gedankenlos schweifte mein Blick nach Westen. Ich sah auf den Fluss hinunter, als mich urplötzlich ein starkes Gefühl der Rührung ergriff. Tränen rollten über meine Wangen, ich atmete auf. Etwas in mir war sehr erleichtert.
Was war geschehen? Der bisher streng regulierte Wienfluss, der in einem engen Steinbett schnurgerade vor sich hin floss, war in diesem Bereich renaturiert worden. Plötzlich war da viel Raum zum Fließen und Schlängeln, in ausladenden, weichen Kurven nahm er seinen weiteren Lauf.
Das hat meine Seele in der Tiefe berührt und da war der Gedanke: ENDLICH, DAS WEIBLICHE KOMMT ZURÜCK UND DARF WIEDER FLIESSEN. Diese äußere Veränderung hat mich im Inneren berührt. Gleichsam ist es so, dass zuerst eine innere Veränderung stattgefunden haben muss, die sich dann im Außen manifestieren konnte.
DER BAUM
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich im Schönbrunner Schlosspark. Ich bin gern in diesem Park und besuche ihn ein paarmal im Jahr wie einen alten, vertrauten Freund.
Ich liebe die Weitläufigkeit, die offenen Flächen und freien Ausblicke. Ich tauche ein in die beruhigende Atmosphäre der Touristen, Jogger und Flaneure. Und in die Trägheit der Sonnenbankerl-Sitzer.
Der Anblick des freundlich-gelben Schlosses erfreut mein Herz ebenso wie die filigrane Stahlkonstruktion des Palmenhauses. Der Park bietet Schutz und Raum für alte, mächtige Solitärbäume und seltene Pflanzenarten.
Es gab jedoch eine Zeit, als mir der Anblick der beschnittenen, zurecht gestutzten Alleebäume körperliche Schmerzen bereitete. Es hat mich so traurig gemacht, dass ich den Park für einige Zeit aus diesem Grunde mied. Damals war es mir nicht bewusst, aber heute weiß ich, dass dadurch mein eigener SCHMERZ getriggert wurde. Der Schmerz, sich anpassen zu müssen, im eigenen AUSDRUCK beschnitten worden zu sein, nicht in die natürlich angelegte Form wachsen zu dürfen.
Fremden Erwartungen entsprechen zu müssen, sei es in Schule, Elternhaus oder Gesellschaft. Auch in diesem Fall passieren Dinge zuerst im Inneren und finden dann ihren Ausdruck in der äußeren Form.
DIE GSTETTN
Eine weiteres Erlebnis hatte ich bei einem meiner abendlichen Spaziergänge auf den Heuberg.
Ich erinnere mich noch gut an die plötzlich aufwallende FREUDE, die ich beim Anblick einer Gstettn* empfand. Etwas in mir jubelte, es waren richtige Glücksgefühle. Warum, mag man sich fragen? Nun, eine Gstettn darf einfach sein, so wie sie ist. Sie muss nicht schön sein, sie muss keinem bestimmten Zweck entsprechen, in keine Form passen. Sie darf FREI sein und WILD und wuchern.
Ich erinnere mich an die Urlaube meiner Kindheit in den 70er Jahren. In Italien und Griechenland gab es damals viele Gstettn. Zum Beispiel auf dem Weg zum Strand in brütender Hitze. Links und rechts nur Steine, Geröll, Disteln und vertrocknete Gräser auf der Gstettn. Und dazu dieses Freiheitsgefühl. Sein dürfen, sich ausdehnen dürfen.
Vieler unserer Gärten ähneln eher Parks. Penibel gepflegte Grünflächen wechseln mit sorgfältig angelegten Blumenrabatten. Alles muss kontrolliert und geordnet sein, was nicht ins Bild passt wird gnadenlos entfernt. Die Gstettn hingegen bleibt sich selbst überlassen und bietet gerade dadurch Raum für selten gewordene Pflanzen und Tiere.
Bei meiner Recherche zum Wort “Gstettn” habe ich erfreut festgestellt, dass es dazu viele Berichte und Dokumentationen** gibt, die die Wichtigkeit der Gstettn, gerade in Städten, betonen. Es gibt sogar regelrechte Liebeserklärungen an die Gstettn***.
Kein Wunder also, dass sich meine Seele INTUITIV daran erfreut. Es bedeutet, dass es Raum gibt um einfach nur zu SEIN in einer Welt, die aus der Balance gekommen ist, wo alles ein wenig zu geordnet und kontrolliert ist.
Da braucht es als GEGENGEWICHT wieder mehr freie Flächen, wo Unerwartetes entstehen und KREATIVITÄT erblühen kann. Im Inneren ebenso wie im Äußeren.
Es bedeutet, dass wir uns selbst wieder mehr Raum geben, um einfach nur zu SEIN und zu beobachten, was aus uns heraus entstehen möchte. Dazu braucht es MUT und VERTRAUEN. Es ist so ganz anders als das, was die meisten von uns gelernt haben – und deshalb ein ABENTEUER.
*Gstetten steht für: Brache, österreichisch/bayerisch für Brachland
A Gstettn oda Gstetten is a Grund, dea wo ned gnuzt bzw. ned bewiatschofted wead.[1][2]
A Gstettn ko a Fejd- oda Wiesnroa sei, a Beschung oda a Henga (zmeist an a Strass oda an Weg). In da Stod is damid a unvabaute, vawuidate Flächn gmoant. “…” Wei Gestettn a weng vawuidat san, sans aa a weatvois Biotop und a Bruad- und Schutzploz fia Wuidvichal.