Die Begegnung

    Unlängst habe ich mich aufgemacht und bin zu einer meiner Lieblingswanderungen aufgebrochen – den Myrafällen. Ich mag diese Gegend sehr gerne und sie ist von Wien aus recht schnell zu erreichen.

    Obwohl die Myrafälle selbst als Attraktion sehr überlaufen sind und man zuweilen etwas Geduld mitbringen muss – ich nutze das gleich als Übung, um in meiner Mitte zu bleiben – ist es einfach schön sie zu erleben.

    Sobald man dann links abbiegt und zum Hausstein hinaufsteigt, wird es schon ruhiger. Von dort genießt man eine tolle Aussicht auf die umliegenden Hügel und Berge. Weiter gehts dann eine Straße entlang, die nach 5 Minuten in eine Forststraße übergeht.

    Spätestens da ist man mit sich und der Natur wieder allein. Die Kiefern verströmen ihren aromatischen, harzigen Duft, Schmetterlinge gaukeln umher und alles in mir kommt zur Ruhe. Irgendwann hat man den Wald hinter sich gelassen und kommt auf eine Ebene, mit ausgedehnten Wiesen und tollem Fernblick bis hin zum Schneeberg.

    Mit etwas Glück sieht man auch ein paar Kühe in der Ferne auf den Hügeln weiden – idyllischer geht es kaum. Landleben pur, und das nur eine knappe Autostunde von Wien entfernt!

      Rituale und Überraschungen

      Nach einem schattigen, steilen Abstieg über eine Forststraße nähere ich mich dem eigentlichen Highlight meiner Tour, der Steinwandklamm.

      Am Eingang plaudere ich kurz mit Franz, dem Betreiber der Klamm, und trinke noch einen Schnaps mit ihm – auch schon ein lieb gewonnenes Ritual. Die Schlucht ist sehr romantisch und wird seltener von anderen Spaziergängern besucht. Dort ist es immer gleich ein paar Grad kühler, die Felsen sind beeindruckend hoch und moosbewachsen.

      Über Holzleitern durchwandert man die Klamm, es geht stetig bergauf und am Ende befindet sich eine kleine Höhle, das “Türkenloch”. Oben angekommen, wird man wieder mit tollen Ausblicken belohnt. Diese Wanderung ist auch speziell für Kinder ein Erlebnis.

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      Nun zu meiner Begegnung: am Eingang der Klamm, kurz bevor die Holzleitern beginnen, traf ich auf ein betagtes Ehepaar. Wir grüßten uns, hielten kurz inne und wechselten ein paar Worte. Ich erfuhr, dass die beiden immer schon sehr gerne gewandert sind – begeistert erzählten sie mir von ihren Ausflügen und Touren.

      Sie erwähnten auch, dass es aufgrund gesundheitlicher Probleme nur mehr sehr begrenzt möglich wäre. So war einer der beiden nicht mehr in der Lage, die Stufen der Holzleitern zu erklimmen. Sie konnten die Klamm nur mehr von unten betrachten. Die Demut dieser beiden Menschen berührte mich sehr.

      Zu erkennen, dass nichts selbstverständlich ist und alles einmal ein Ende hat. Auch ich werde eines Tages die Stufen nicht mehr hinaufgehen können. Es machte mich traurig, daran zu denken. Gleichzeitig empfand ich tiefe Dankbarkeit, jetzt noch in der Lage zu sein, genau das zu tun. Nach einiger Zeit verabschiedeten wir uns.

      Die Begegnung hat mich nachdenklich und erfüllt zurückgelassen. Es ist schmerzhaft und gleichzeitig heilsam, sich die Vergänglichkeit in Erinnerung zu rufen. Das Leben bekommt dadurch mehr Tiefe und Wertschätzung. Ich werde dankbarer und demütiger.

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      Erlebnisse wie diese sind es, die ich am Wandern so schätze – ob Begegnungen mit Menschen, Tieren oder Pflanzen – immer ist darin ein Geschenk enthalten.

      Still, dankbar und erfüllt kehre ich von meinen Ausflügen in die Natur zurück in die Stadt.