Die Wandlung

    Seit Tagen schon befinde ich mich in einer fast unerträglichen Stimmung. Eine Mischung aus Wut, Schmerz und Trauer wütet in meinem Inneren. Wenn die Gefühle so stark präsent sind, gelingt es mir nicht, daneben produktiv zu arbeiten – ich bringe einfach nichts weiter. Also beschließe ich, mir etwas Gutes zu tun und einen Ausflug in die Natur zu machen.

    Meine Intuition hat schon vor einiger Zeit angeklopft und ich spüre dass es mich ins Waldviertel an den Kamp zieht. Ich google und finde eine dreistündige Wanderung, immer entlang des Flusses. Genau das richtige, denke ich und mache mich spontan auf den Weg.

    Noch auf der Autobahn wütet es in mir und meine Gedanken rasen. Sie wollen einfach nicht zur Ruhe kommen.

    Erst als ich über die Donaubrücke fahre und mich Krems nähere, hellt sich meine Stimmung auf. Dort habe ich studiert, und noch immer stellt sich eine Art Heimatgefühl ein wenn ich in die Wachau komme.

    Die Landschaft hat für mich etwas sehr Liebliches, gleichzeitig Archaisches und Weibliches. Dort fühle ich mich geborgen und aufgehoben.

      Waldviertel calling

      Doch heute lasse ich die Wachau hinter mir und fahre weiter nach Norden Richtung Waldviertel.

      Spätestens als ich die Schnellstraße verlasse und auf kurvenreichen Landstraßen weiterfahre stellt sich ein Glücksgefühl ein. Mein Abenteuergeist erwacht.

      Eine der Straßen hat nur einen Schotterbelag und ich muß sehr langsam fahren. Bewusst nehme ich die Weite der Landschaft wahr, den blauen Himmel mit den weißen Haufenwolken, links und rechts blühende Klatschmohnfelder in leuchtendem Pink und Weiß. Waldviertel pur, denke ich.

      Ich halte an und mache ein paar Fotos von den Mohnblumen. Leider versteckt sich in dem Moment die Sonne gerade hinter ein paar dichteren Wolken. Ich warte noch ein wenig ab, um das perfekte Foto mit Sonne zu schießen, doch leider ziert sie sich und ich steige wieder ins Auto. Ein leichter Wind geht und ich bemerke, dass ich friere. Hier oben ist es doch kälter als in Wien.

        Ein Dorf mitten im Nirgendwo

        Nach weiteren zehn Minuten Autofahrt bin ich an meinem Ziel angelangt. Ein verschlafenes Dorf mitten im Nirgendwo. Der Maler Friedensreich Hundertwasser hat hier in der Nähe in der sogenannten Hahnmühle am Fluss immer wieder Zeit verbracht und gearbeitet. Im Ort ist ihm ein kleines Museum gewidmet, es ist blau angemalt und nicht zu übersehen.

        Eine Weile brauche ich, um mich zu orientieren – die Tafel mit den Wanderwegen ist falsch montiert und zeigt in eine andere Richtung. Gut, dass ich am Handy einen Kompass habe. Jetzt weiß ich wo Norden ist und wo der Wanderweg beginnt. Ein älteres Ehepaar scheint ebenfalls etwas verloren – ihnen geht es wohl genauso wie mir.

        Wenn Zweifel aufkommt – vertraue dir

        Ich beginne also mit meiner Wanderung entlang der Straße, der Fluss Kamp immer links von mir. In der Wanderbeschreibung stand, man würde immer entlang des Flusses gehen, jedoch bin ich im Moment oft meterweit vom Fluss entfernt.

        Schon kommen Zweifel auf und drohen meine mittlerweile gute Laune zu trüben. “Na toll, jetzt bin ich so weit gefahren nur um drei Stunden an einer Landstraße entlang zu gehen…wird wohl nicht die beste Wanderung heute…” so ähnlich ratterten meine Gedanken. Aber dann erinnerte ich mich wieder daran, dass mich meine Intuition hierher gebracht hat und ich beschloss, ihr zu vertrauen.

        Und siehe da – nach wenigen Metern mündete die Straße in einen Forstweg – von da an gab es nur mehr Natur pur. Links der friedlich vor sich in strömende Kamp, rechts vom Weg Nadelwald und beeindruckende Felsformationen.

        Ich wurde stiller und stiller. Fotografierte Blumen die ich noch nie gesehen hatte (Roter Fingerhut, wie ich später herausfand), das Wasser und die Bäume. Setzte mich auf eine Sandbank, um meine Jause zu essen.

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        Nach einiger Zeit kam ich zu besagter Hahnmühle, ein kleines, bunt angemaltes Häuschen. Die wellenförmige Malerei stammt allerdings nicht von Hundertwasser, sondern wurde erst nach seinem Tod angefertigt.

        Gegenüber stehen noch ein paar Ruinen. Fasziniert gehe ich hinein und mache ein paar Fotos. Wer wohl hier gelebt hat? Einige Zeit verbringe ich dort am Fluss, es ist ein wirklich schönes Fleckchen – ich verstehe nun, warum Hundertwasser so gerne hier war.

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        Naturräume

        Raum um Raum durchschreite ich, fasziniert und begeistert – ein Waldstück verzaubert mich besonders, es ist licht, am Waldboden wachsen Gräser die ich noch nie gesehen habe, die Stämme der Bäume sind schlank und hoch. Ich fühle mich wie in einem phantastischen Märchenwald, es ist pure Magie. 

        Mittlerweile habe ich jegliches Zeitgefühl verloren, meine Gedanken scheinen vollkommen still. Da ist nur Raum, Frieden und Sein.

        Ein wenig müde, lege ich mich auf eine Sandbank und überlege, vielleicht ein kurzes Bad im Fluss zu nehmen – es ist mir dann aber doch zu kalt.

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        Nach Überquerung einer kleinen Brücke, trete ich auf der anderen Uferseite den Rückweg an. Anders erscheint hier die Landschaft, der Wald ist dichter.

        Mittlerweile ist es später Nachmittag und ich bin fasziniert von der Lichtstimmung und der schräg einfallenden Sonneneinstrahlung. Ein wenig experimentiere ich und versuche, Fotos durch meine Sonnenbrille hindurch zu machen. Das Ergebnis sind warme, leuchtende Farben.

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        Nun bin ich fast am letzten Drittel des Weges angekommen und muß aufpassen, die richtige Abzweigung nicht zu verpassen – steil geht es rechts einen Hügel hinauf, quer durch den Wald, danach links auf eine Forststraße, bis ich zu einem großen Gehöft komme. Der Bauer mäht gerade mit lautem Getöse seine Wiese und nickt mir freundlich zu.

        Hier oben genieße ich nach dem Flusstal wieder die Weite der Landschaft – über Wiesen, Hügel und Wälder schweift mein Blick. Die Wiesen sehen so einladend aus, dass ich mich noch ein Weilchen hinlege und die Wolken beobachte. Erst als mir die Mücken zu lästig werden, stehe ich auf und gehe das letzte Stück auf der Landstraße in Serpentinen zum Ort hinunter.

        Satt, erfüllt und glücklich trete ich meine Heimfahrt an. Was für ein Unterschied zu heute morgen!